Alte Frage neu gedacht: Wer bin ich?

Springer Spektrum-Sachbuch legt dar, wie viel Tier und wie viel Kulturwesen im Menschen steckt

Heidelberg, 22. Juli 2015

„Wir tragen beides mit uns: Die Weisheit im Kopf und den Affen im Rucksack“, fasst der Sozialpsychologe und Springer-Autor Ulrich Kühnen die Botschaft seines Buches zusammen. Seit es Menschen gibt, stellen sie sich Fragen wie: Woher kommen wir? Was prägt mich als Mensch? Wer bin ich? Heute erhält man darauf entweder evolutionsbiologisch-naturwissenschaftliche Antworten oder aber Erklärungen, die aus der Kulturgeschichte oder der kulturvergleichenden Psychologie abgeleitet sind. Ein vollständiges Bild bekommt der am Thema Interessierte aber nur dann, wenn er die vorliegenden Ergebnisse aus beiden Lagern gleichermaßen berücksichtigt. Genau diesen Spagat leistet Kühnen im Sachbuch Tierisch kultiviert, in dem er jüngste Erkenntnisse aus der kulturvergleichenden Sozialwissenschaft, der Biologie und der Evolutionspsychologie übersetzt.

Eingangs beschäftigt sich der Experte mit möglichen Antworten auf die Frage „Wer bin ich?“. Natürlich beantwortet ein jeder Mensch diese Frage auf einzigartige und je individuelle Weise. Trotzdem gibt es aber systematische Kulturunterschiede in den Antworten. So zeigen Studien zum Beispiel, dass amerikanische Befragte sich bevorzugt durch abgrenzende, besondere Eigenschaften der eigenen Person beschreiben. Ganz anders kenianische Studienteilnehmer: Sie definieren sich gerade durch die Verbundenheit mit anderen, ihnen nahestehenden Personen. Die Antworten veranschaulichen, wie stark unsere Selbstbeschreibung von einer sogenannten independenten beziehungsweise interdependenten Ausrichtung beeinflusst wird. Die Art der Beeinflussung hängt immer vom jeweiligen Kulturkreis ab und ob dort mehr Wert auf Alleinstellungsmerkmale oder auf Zusammengehörigkeit gelegt wird.

Einerseits ist der Mensch also Ergebnis der ihn umgebenden Kultur, andererseits aber ist er auch evolutionär vorprogrammiert. Unter Berücksichtigung dieser Gegebenheiten macht sich Kühnen an die Entschlüsselung vieler spannender Fragen, wie beispielsweise: Wie entsteht das eigene Ich, und wie kommt die Kultur überhaupt in unseren Kopf? Werden auch grundlegende Denkmechanismen, wie Wahrnehmung, Aufmerksamkeit und schlussfolgerndes Denken von der Kultur bestimmt? Welche Rückschlüsse erlauben Verhaltensuntersuchungen zu scheinbar banalen Tätigkeiten von Mann und Frau wie Einkaufen oder Einparken? Was macht uns bei anderen Menschen attraktiv? Oder wie steht der Mensch zur Moral, und haben selbst Primaten schon ähnliche moralische Tendenzen wie wir Menschen? Wieso glauben wir an Gott? Schließlich gibt der Fachmann einen Ausblick auf die Chancen hin zu einer universellen Menschheit und der globalen Kooperationsbereitschaft für eine „bessere Welt“.

Der Sozialpsychologe Kühnen unternimmt mit dem Leser eine Reise in die Tiefen des Bewusstseins und verweist auf verblüffende Einsichten und Erkenntnisse hinsichtlich des menschlichen Verhaltens. Die spannend geschriebenen Ausführungen des Experten richten sich an all jene, die sich immer wieder von Neuem die alte Frage stellen: „Wer bin ich?“

Ulrich Kühnen lehrt und forscht seit 2003 als Professor für Psychologie an der Jacobs University Bremen und ist Gründungsmitglied der Bremen International Graduate School of Social Sciences (BIGSSS). Als kognitiver Sozialpsychologe inte-ressiert er sich vor allem für die soziale Fundierung menschlichen Denkens, Fühlens und Handelns. Insbesondere erforscht er die Konsequenzen kultureller Bedeutungssysteme für das Verständnis von Identität und dessen Konsequenzen für grundlegende kognitive Mechanismen.

Ulrich Kühnen
Tierisch kultiviert
Menschliches Verhalten zwischen Kultur und Evolution
2015, 305 S.23 Abb.
Hardcover € 19,99 (D) | € 20,55 (A) | sFr 21.50 (CH)
ISBN 978-3-662-45365-0
Auch als eBook verfügbar