Warum wird unser Geruchssinn oft völlig unterschätzt?
Lebensmittelchemikerin und Aromaforscherin, Prof. Dr. Andrea Büttner, über die oft starke Überzeugungskraft eines Geruchs
Heidelberg | New York, 04. Mai 2017
Der Glaube, der Geruchssinn eines Hundes wäre besser ausgebildet als unser eigener, ist weit verbreitet.1 Unsere anderen Sinne scheinen schließlich unseren Alltag zu dominieren. „Aber die menschliche Nase ist ein leistungsstarkes analytisches Werkzeug, das unsere zwischenmenschlichen Beziehungen stark beeinflussen kann und im Umgang mit modernen Materialien und Prozessen zielgerichtet eingesetzt werden kann“, erklärt Andrea Büttner, Lebensmittelchemikerin und Aromaforscherin am Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung (IVV) und an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Außerdem ist sie Herausgeberin des kürzlich erschienenen Springer Handbook of Odor, einem Kompendium eines ganzen Arsenals von Aspekten der Geruchsforschung, einschließlich der Chemie und Herkunft von Geruchsstoffen, Physiologie und Psychologie der Geruchswahrnehmung, der Verwendung von Aromen und ihrer Messung, aber auch der Klärung von Fehl- und Störgerüchen.
„Die entspannende und anregende Wirkung von Geruchsstoffen hat mich schon früh fasziniert“, sagt Büttner, die bereits als Kind den Geruch von frisch gesägtem Holz aus der Tischlerwerkstatt ihres Vaters liebte. Heute beschäftigt sie sich als Lebensmittelchemikerin und Aromaforscherin unter anderem auch mit den Geruchsstoffen der modernen Welt, insbesondere mit der Untersuchung neuer Substanzen und deren physiologischer und toxikologischer Wirkung sowie den psychosomatischen Auswirkungen bei Exposition gegenüber schlechten oder reizenden Gerüchen.
Das Gebiet der Geruchswissenschaft ist sehr weitreichend und facettenreich, und laut Büttner ergeben sich die spannendsten Forschungsthemen aus den interdisziplinären Schnittstellen. So zeigen Forscher beispielsweise in den Bereichen Architektur und Physiologie, wie Sinneswahrnehmung als architektonische Designmethode angewendet werden kann, um ein gelungenes Gebäudedesign zu entwerfen, indem sowohl der Gebäudekontext als auch der gesamte menschliche Körper berücksichtigt werden.2 Eine weitere Schnittstelle findet man in der Medizin und Chemie bei der Erforschung einer Methode, um die chemischen Moleküle in unserer Ausatemluft zu analysieren und anschließend für die Diagnose bestimmter Krankheitsbilder zu nutzen.3
„Die Liste der möglichen Themen in der Geruchswissenschaft ist praktisch endlos“, erklärt Büttner und betont die Anwendungsmöglichkeiten, die sich daraus für unser tägliches Leben ergeben.
„Die Menschen sollten das Bewusstsein für ihren Geruchssinn stärken und ihn schon frühzeitig im Kindesalter trainieren, und zwar nicht nur, um verschiedene Gerüche besser unterscheiden zu können, sondern auch um eine höhere Lebensqualität zu erreichen!“
Das vollständige Interview mit Andrea Büttner finden Sie hier.
Bild: Andrea Buettner © Fraunhofer IVV
Andrea Buettner (Ed.)
Springer Handbook of Odor (Englisch)
2017
ISBN 978-3-319-26930-6
Auch als eBook verfügbar ISBN 978-3-319-26932-0
Weitere Informationen
Die oben genannten Forschungsgebiete und Forscher sind im Springer Handbook of Odor erwähnt.
1. Menschen können genauso gut riechen wie Hunde
Der menschliche Geruchssinn ist viel besser als bisher vermutet. Auf bestimmte Geruchsstoffe reagiert die menschliche Nase sogar besser als die des Hundes. Die Leistungsstärke des Geruchssinns einer Spezies anhand neuroanatomischer Eigenschaften wie Größe einer Gehirnstruktur oder genetische Merkmale ist schwer abschätzbar. Stattdessen versucht man, die Sensitivität des Geruchssinns eines Tieres über die verhaltenstypische Relevanz der Reaktion auf Geruchsstoffe zu definieren.
Matthias Laska, Linköping Universität, Schweden
2. Warum sollten Gerüche beim Gebäudedesign berücksichtigt werden?
Die Sinneswahrnehmung kann als architektonische Designmethode genutzt werden. Jedes gelungene Gebäudedesign muss sowohl den Gebäudekontext als auch den gesamten menschlichen Körper mit all seinen Sinnen als wichtige Designparameter berücksichtigen. Werden unser Geruchssinn und unsere anderen Sinne in ein Gebäude integriert, entstehen Räume, in denen wir uns wohl und gesund fühlen.
Katinka Temme, Hochschule Augsburg
3. Diagnose von Krankheitsbildern anhand der ausgeatmeten
Die Ausatemluft enthält chemische Moleküle. Der Schwerpunkt dieses Forschungsbereichs liegt auf dem Ursprung dieser Moleküle, darunter Stoffwechsel, Mikrobiom oder Umweltfaktoren. Durch Krankheit verursachte Ungleichgewichte im Körper können Art und Menge dieser ausgeatmeten Substanzen verändern. Exhalatanalysen sind daher eine nichtinvasive Methode zur Diagnoseunterstützung bei bestimmten Krankheitsbildern.
Jonathan Beauchamp, Fraunhofer-Instituts für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV
Service für Journalisten
Weitere Einzelheiten zu den Forschern und zu ihrer Arbeit sowie PDF-Dateien der entsprechenden Kapitel im Springer Handbook of Odor sind auf Anfrage verfügbar.
Kontakt
Elizabeth Hawkins | Springer Nature | Communications
tel +49 6221 487 8130 | elizabeth.hawkins@springer.com